Deutschland einig Trauerland

Der deutsche Fußball hat ein Spiel verloren, doch Deutschland hat Identität gewonnen. Deutschland hat gelernt, „wir“ zu sagen und das „wir“-Gefühl auch zu zeigen.

Dieser Prozess begann vor vier Jahren, zur letzten Weltmeisterschaft. Während der vier Wochen fieberten immer mehr Menschen von Spiel zu Spiel beim Public Viewing zusammen vor den Leinwänden. Vom Erfolg der Spieler getragen hielten immer mehr Fans eine deutsche Fahne in der Hand und drückten ihren Stolz auf die Mannschaft und auf die eigene Nation aus. Plötzlich schien es möglich, patriotisch zu sein, die deutsche Fahne zu schwenken und nicht gleich als Nazi verschrien zu werden. Durch diese Symbolik hat sich Deutschland ein Stück weit von seiner schrecklichen Geschichte emanzipiert und ausgerechnet der Fußball im eigenen Land hat dabei geholfen.

Pünktlich zum Start dieser Fußball-Weltmeisterschaft verwandelte sich Deutschland wieder in ein Schwarz-Rot-Goldenes Flaggenmeer. Häuser und Frauen wurden in farbige Fahnen gewickelt und die durch die Sonne rotgebrannten Wangen dreifarbig geschminkt. Schwarz-Rot-Sexy ist das neue Motto der Republik. Fast jeder macht mit und hat Spaß dabei.

Die Männerdomäne Fußball wird von den Frauen entdeckt, die vorzugsweise die ersten Reihen beim Public Viewing füllen. Gekleidet in Wäsche, die gerade so groß ist, dass die drei Identitätsfarben darauf gedruckt werden können, machen die jungen Frauen den Männersport auch endlich für Männer interessant. Währenddessen spielen die großen Jungs Fußball-Buzzword-Bullshit-Bingo mit den Worten aus den Spielberichten von Günter Netzer („Die Räume enger machen!“, „Basta!“). Auch das schafft ein „wir“-Gefühl.
Alles nur Show? Natürlich! Und doch bleibt das Gefühl, etwas gemeinsam erreicht zu haben. Die Republik kuschelt zusammen, nicht nur beim Public Viewing. Dabei hilft der geniale Manager Joachim „Jogi“ Löw, denn er ist der Erneuerer des deutschen Fußballs und zeigt der Republik, wie weit man – wie weit „wir“ – mit Strategie und Zuversicht kommen können. Dabei tritt Löw als bedachter und angenehm zielführender Trainer auf, der immer wieder die Gemeinschaftsleistung und die Mannschaft in den Vordergrund rückt. Er regiert die deutsche Elf, so wie Merkel Deutschland regieren sollte. Immer konzentriert und mit dem Erfolg statt der eigenen Person im Fokus.

Frau Merkel hat ihm zugeschaut – ob sie Impulse mit in die deutsche Politik zurücknimmt? Wir können es nur hoffen – für Deutschland, für uns, für das „wir“.

Übrigens: Es ist auch die Zeit der Fotojournalisten. Statt zum Ablichten der Politiker extra das Weitwinkel-Objektiv auszupacken, reicht es auf die Straße zu gehen: Motive überall. Während des Spiels ist der Blick direkt ins Public Viewing Publikum gerichtet. Das Spiel beobachten wir direkt in den Gesichtern:

Weitere Fan-Fotos in der Happy Arts Galerie.

1 Kommentar zu „Deutschland einig Trauerland“

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