Basketballkrimi in Jena

Was für ein Auftakt! Was für ein Spiel! Mein erster Besuch bei einem Basketballspiel (Science City Jena – Eisbären Bremerhaven, 18. April 2008) wird mir noch lange in Erinnerung bleiben, denn Emotionen beim Sport sind wie eine Droge. Wenn ich mit meiner Kamera an der Eckfahne des vollbesetzen Ernst-Abbe-Stadion (Fünfzehntausend Zuschauer) sitze und bei strömenden Regen das Elfmeterschießen im DFB-Pokalspiel fotografiere und die Rufe der Südkurve und Tribüne im tausendfachen Echo zusammenprallen trifft sich Emotion pur. Wie kann das ein Basketballspiel in einer kleinen Halle mit kaum 2000 Zuschauern überbieten? Mit noch mehr Emotionen, pur und unverdünnt genossen.

Das Spiel beginnt nicht gut für Jena, es steht nach zehn Minuten schon 8:26. Die Stimmung ist so gut, als hätte Jena den Vorsprung. Die Fans lassen keine Sekunde zweifel daran, das es geradeerst losgeht und alles offen ist. Basketball ist ein extrem schneller Sport – es gibt mehr Punkte in einem Spiel, wie in einer ganzen Bundesligasaison Tore fallen und Basketball komprimiert die Energie auf einer Fläche des zwanzigstels eines Fußballfeldes. Es wechseln die Szenen und die Spielseite im Sekundentakt. Wer zwinkert, der verpasst etwas. Doch zwischen Angriff und Verteidigung gibt es Momente gefühlter Ruhe, wenn ein Foulwurf ansteht. Für einen kurzen Moment scheint die Halle zu Ruhen und sich zu konzentrieren, nur die Fans des Gegners versuchen die Anspannung zu durchbrechen. Der Ball im Netz löst die Spannung schlagartig , die Fans stürmen und lassen die Südkurve streckenweise ziemlich klein wirken.

Jena holt auf. Mark Davis (42) treibt das Spiel und wirft sechs „Dreier“ in fünf Minuten, als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre. Mit 57:58 Punkten wird das Katz-und-Maus-Spiel eröffnet und von den Zuschauern saßen nur noch die, welche sonst gerade noch liegen können. Echte Fans sitzen nie. Punktgewinne und vertane Chancen auf beiden Seiten zerren am Spannungsbogen. Die Fouls nehmen zu und Gregor Linke scheidet nach dem fünften Foul aus. Nach und nach fehlen Jena die frischen Spieler.

Beide Teams drängen auf eine Entscheidung und erreichen mit 72:72 nur ein unentschieden. Es geht in die Verlängerung und um weitere Minuten verlängert sich der Spannungsbogen. Jena gehen die Kräfte aus und die Niederlage für Jena steht eine Minute vor dem Ende der Verlängerung scheinbar fest: 76:82.

Im Sport ist alles möglich. Anstatt in der nahezu aussichtslosen Situation aufzugeben, geht der Trainer der Science City Jena aufs Spielfeld und spielt mit! Über die folgende Minute lasse ich die Profis berichten und zitiere Andreas Knollmann aus seinem Spielbericht auf der Science City Homepage:

Schon vorher hatte er sich fertig gemacht, stand nicht mehr im Trainingsanzug an der Bande, sondern nutzte die Coaching-Zone als erwärmendes Betätigungsfeld. Bevor jedoch die Stunde des Trainers schlug, nahm Lavelle Felton wieder Fahrt auf. Zwei Dreipunktwürfe brachten Jena wieder in Schlagdistanz (82:86) bei noch 18 verbleibenden Sekunden Restspielzeit. Ein anschließender Ballverlust der Gäste, gefolgt von einem Foul, brachte Science-City-Trainer Sean McCaw wieder in den Fokus auf dem Feld, genauer gesagt, an die Freiwurflinie. Nummer eins fand „wie in alten Tagen“ sicher sein Ziel während die Nummer zwei in einem Offensivrebound resultieren sollte.

Der Plan ging auf, als sich Jason Miller im Getümmel und drittem Nachfassen den Ball sicherte und in der „Reuse“ ablegen konnte. Sechs Sekunden vor dem Ende betrug somit der Rückstand nur noch zwei Punkte, als der Trick, mit dem Jena in der Woche zuvor den TBB Trier zweimal düpieren konnte, beinahe den Wissenschaftlern das Genick gebrochen hätte. In der beinahe letzten Sekunde, gelang es Brendan Plavich, den durchgebrochenen Anthony Tolliver entscheidend zu stören, allerdings auf Kosten eines Fouls. Nur ein resultierender Freiwurf durchquerte die Maschen, wodurch sich die Chance auf einen allerletzten Wurf ergab.

Es steht 85:88 gegen Jena, die letzten zwei Sekunden der Verlängerung sollen zu den längsten des ganzen Spiels werden. Trainer Sean McCaw steht an der Dreipunktline des eignen Felds, es sind rund 20 m – die gut doppelte Entfernung eins Elfmeter beim Fußball – bis zum Korb. McCaw greift den Ball und hat nur eine Chance, die letze. Er setzt an und wirft den Ball. Das Publikum erstarrt förmlich. Zum ersten mal im ganzen Spiel ein Moment kompletter Stille. Alle Blicke auf den Ball gerichtet. Die Hupe für das Spielende begleitet den Ball den ganzen Flug. Er fliegt und fliegt und scheint es darauf anzulegen, nie wieder auftreffen zu wollen. Der Korb kommt näher; ist jetzt da. Der Ball kratzt den Rand, berührt das Netz und … ist durch! (Video des „goldenen Wurf“) Tausende Hände reißen gleichzeitig in die Luft, die Boden bebt, die Luft brennt. Jena ist wieder im Spiel, und geht mit 88:88 Punkten in die zweite Verlängerung.

Mit einer Mischung aus Begeisterung, Entsetzen und Ephorie geht es weiter. Die folgenden Minuten kämpft Jena weiter , muss sich Minuten später mit 98:103 Punkten geschlagen geben und steigt in die 2. Basketballliga ab. Gewonnen haben der Sport und die Zuschauer, die mit einem Basketballkrimi ohne Gleichen belohnt wurden.

Weitere Fotos in der Happy Arts Galerie.

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